Inklusion vom Rand in die Mitte rücken: das geht uns alle an!

Inklusion darf nicht nur als eine Herausforderung für die Bildungseinrichtungen begriffen werden. Sie muss in einen Prozess gesamtgesellschaftlicher Strategien, vor allem auch in der Stadtentwicklung, eingebettet werden.

Ein Rollstuhlfahrer auf einer Rampe in einem Skatepark

Das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen in den USA und der im Frühjahr noch unsichere Ausgang der Wahlen in Frankreich haben das Vertrauen in einen kontinuierlichen Fortgang liberaler politischer Entwicklungen tief erschüttert. Liberalität umfasst neben einer hohen Wertschätzung von Bürgerrechten auch einen respektvollen Umgang mit gesellschaftlichen Minderheiten, der das in Art.3 GG garantierte Recht auf Gleichbehandlung ernstnimmt. Ganz offensichtlich hat in einem Teil auch von demokratisch regierten Ländern ein „Rollback“ in dieser Frage eingesetzt.

Gleichzeitig erleben wir im Prozess der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention, mit der behinderte Menschen und ihre Verbände ihren Anspruch auf gesellschaftliche Teilhabe wirksam formuliert haben, eine Verengung auf den Bildungsbereich und dort teils heftige Debatten darüber, wie die Rechte der Mehrheit gewahrt werden können.

Das Verhältnis von Mehrheiten und Minderheiten in der Demokratie ist spannungsreich

Der Aufschwung rechter Parteien wird häufig damit begründet, dass die anderen Parteien zu sehr Minderheiten in den Fokus ihrer Politik gerückt hätten, beispielsweise die Anliegen Homosexueller, Genderfragen (LGBTI), Flüchtlinge etc. Mit der Umsetzung der UN-Behindertenkonvention hätte auch diese Gruppe – so der Vorwurf – mehr Beachtung bekommen, die soziale Frage sei in den Hintergrund gerückt, die sozial Benachteiligten aus dem Blickfeld geraten. Diese schlügen nun zurück. Warum wählen frühere Linkswähler jetzt Rechts? Kann sich die Gesellschaft erst um die Rechte von Minderheiten kümmern, wenn es allen ökonomisch gut geht? Gibt es eine Hierarchie der Benachteiligungen?

Woher kommt diese Polarisierung, die Liberalität und Minderheitenschutz auf der einen Seite und die Rechte von sozial Benachteiligten auf der anderen Seite verortet. Die rechte Protestbewegung geriert sich zudem auch selbst gerne als „das Volk“ und versucht sich als Vertreter der Mehrheitsgesellschaft zu präsentieren.

Der Protest richtet sich gegen „die Politik“, die „Eliten“ etc. – damit wird vor allem zum Ausdruck gebracht, dass hier individuelle Ansprüche in Konkurrenz zu anderen formuliert werden, die jetzt auch mal wieder dran seien. Dies zeigt eine paternalistische, obrigkeitsstaatliche Vorstellung von Politik, die wenig vom Verständnis staatsbürgerlicher Verantwortung eines jeden Einzelnen getragen ist. Nur wenn alle immer mehr bekommen, kann es hiernach einen sozialen Frieden geben. Dies hat aber wenig mit einem demokratischen Staat, mit einer demokratischen Gesellschaft zu tun. Gerechtigkeit kann nicht davon abhängen, dass immer mehr verteilt wird. Hiermit soll nicht der Staat aus seiner Verantwortung entlassen werden, er hat ohne Zweifel für Rahmenbedingungen zu sorgen, die einem Sozialstaat angemessen sind, aber er kann nicht zum alleinigen Adressaten der Herstellung von Gerechtigkeit gemacht werden. Der Philosoph Reiner Forst formuliert dies treffend:

„Die gerechte Gesellschaft bezieht nicht Einzelne als nur passive Empfänger von Gütern ein, sondern als aktive Bürgerinnen und Bürgern, die an der Gestaltung der allen zugänglichen Institutionen als Freie und Gleiche mitwirken. Das ist ein anspruchsvolles Verständnis von Inklusion, das auf Partizipation, kritische Partizipation, hinausläuft.“[1]

Dieses Verständnis von Gerechtigkeit dürfte noch nicht Allgemeingut sein, wurde doch in der bundesrepublikanischen Geschichte der Sozialstaat vor allem in den 1960er Jahren mit einem Zuwachs von Ressourcen verbunden. In der DDR gehörte Partizipation von aktiven Bürgern auch nicht zum gesellschaftlichen Grundverständnis. Deshalb muss die Gestaltung des Verhältnisses von Mehrheiten und Minderheiten auf der Grundlage von Partizipation bzw. gleichberechtigter Teilhabe gelernt werden. Demokratie ist nicht nur Entscheidung von Mehrheiten, sondern sichert in Art. 3 GG auch den Schutz der Minderheiten. Dieser Schutz sichert aber noch nicht die soziale Akzeptanz und ist nicht immer gesellschaftlich gelebte Realität. Dazu gibt es von staatlicher Seite jeweils zuständige Ämter, Beauftragte, mittlerweile auch Antidiskriminierungsstellen, die für die Teilhaberechte sorgen sollen. Damit ist aber noch nicht die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben gesichert. Letzteres muss durch gemeinsames Leben, durch Kontakte, Verfahrensregeln und Aushandlungsstrategien, mithin durch Beziehungen herstellt werden.

Menschen mit Behinderungen z.B. haben ihren Anspruch auf gesellschaftliche Teilhabe in der UN-Behindertenrechtskonvention selbst formuliert. Zu deren Realisierung braucht es die aktive Unterstützung in allen gesellschaftlichen Bereichen. Dies gilt natürlich auch für andere Minderheiten, die teils in Selbsthilfe ganze Bewegungen initiiert haben, wie z.B. Homosexuelle.

Minderheit darf dabei nicht gegen Minderheit ausgespielt werden, aber hinsichtlich der Ressourcen darf keine Gruppe für sich alles beanspruchen oder nur sich selbst im Blick haben. Wie aber kann die Konkurrenz vermieden oder bearbeitet werden? Ressourcen sind zwar nicht immer knapp, aber immer limitiert. Die Forderung der SPD, angesichts der Summen, die 2015/16 für Flüchtlinge ausgegeben wurden, müssten jetzt auch die Harz IV-Empfänger bedacht wurden, war ein Versuch in dieser Richtung, der aber auch kritisiert wurde.

Hier wurde der Eindruck erweckt, als müssten politische Akteure in paternalistischer Manier die Kinder gerecht bedenken. So kann aber Diskriminierung nicht verhindert werden, sondern führt nur zu ausuferenden Anspruchshaltungen. Es darf keine Politik betrieben werden, die individuelle Ansprüche ins Unermessliche steigern lässt, sondern die Beteiligten müssen selbst mit ihrer Teilhabe auch ihren Anteil am gesellschaftlichen Zusammenhalt beitragen. Individuellen Ansprüchen müssen auch Pflichten gegenüberstehen. Von dieser Idee war auch die 1997 verabschiedete Erklärung der Menschenpflichten getragen:

„Angelehnt an den Text der Menschenrechtserklärung beschreibt sie statt Rechten eine Reihe von Pflichten, die allen Menschen auferlegt sein sollen, allen voran die Pflicht, andere Menschen menschlich zu behandeln.“ [2]

Zu den Unterzeichnern dieser Erklärung gehörten neben Helmut Schmidt zahlreiche Staats- und Regierungschefs. Herfried und Marina Münkler haben diesen Gedanken im Kontext der Aufnahme von Flüchtlingen in Deutschland aufgegriffen:

„Bürgertugend ist der Antipode des puren Eigeninteresses, und sie steht dafür, dass viele Bürger in ihrem Denken und Handeln stets das Gemeinwohl des Gesamtverbands im Auge behalten, dass sie, mit anderen Worten, bereit sind, ihren persönlichen Vorteil gegenüber dem Nutzen der Gemeinschaft hintanzustellen.“ [3]

Im Herbst 2015 haben zahlreiche Menschen mit Engagement eine solche Haltung unter Beweis gestellt. Wie dies auf Dauer und auch für andere Gruppen, z.B. behinderte Menschen gesichert werden kann, dafür müssen auf allen Ebenen auch politische Konzepte entwickelt werden, die stärker darauf abstellen, dass Menschen miteinander agieren und dauerhaft Verantwortung für die Gestaltung des gemeinsamen Lebens übernehmen. Dazu sollen im Folgenden einige Beispiele aufgeführt werden.

Strategische Ansätze sind nötig

Welche Kontexte können konstruiert werden, die Rechte von Minderheiten und deren Teilhabe auch als Mehrheitsthema definiert und erlebbar machen? Dafür müssen inklusive „Settings“ geschaffen werden, regionale Verantwortungsstrukturen, die auch personelle Beziehungen herstellen. Es braucht daneben zielgruppenspezifische Strategien, die die jeweiligen Gruppen, auch bildungsferne, darin stärken, dies auch leisten zu können. Dies wird stärker auf der kommunalen Ebene angesiedelt werden müssen, und hier gibt es auch schon zahlreiche Initiativen. Die Ratifizierung der UN-Konvention für Behinderte 2009 hat hier erhebliche Wirkung entfaltet.

Mit dem Buch „Inklusion vor Ort. Der kommunale Index für Inklusion – Praxishandbuch“ hat die Montagstiftung eine Handreichung vorgelegt, die bei der Umsetzung helfen soll. Dort werden sehr ausführlich für die kommunale Ebene ressortübergreifend Fragen und Checklisten erstellt, mit denen vor Ort geprüft werden kann, wie weit sich alle Bevölkerungsgruppen an der Gestaltung beteiligen können und Ansprechpartner und Netzwerke für ihre Bedürfnisse finden. Ebenso werden aus sieben Kommunen Beispiele der Praxis beschrieben, aus denen gelernt werden kann.

Neben diesen Beispielen haben die Städte Oldenburg und Jena Aktionspläne zur Inklusion entwickelt, mit denen in allen Bereichen die Teilhabechance von Menschen mit Behinderungen verbessert werden sollen. Oldenburg hat dies mit einer sorgfältigen Dokumentation der erreichten Maßnahmen verbunden.

In einem Positionspapier „Inklusion und Stadtentwicklung“ versuchen in NRW mehrere Kommunen auf den verschiedenen Ebenen der Stadtverwaltung, der unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereiche mit und für sehr unterschiedliche Bevölkerungsgruppen Konzepte für kommunales Leben zu entwickeln. Der Hintergrund ist die UN-Behindertenrechtskonvention und die Herausforderung, Flüchtlinge zu integrieren. Das Konzept sieht Verbesserungen für diese Gruppen vor, vor allem aber auch ihre eigene Teilhabe an der Gestaltung.

Grundsätzlich sollen aber alle Menschen stärker einbezogen werden. Eine altersgerechte Stadt kann auch die Kinderfreundlichkeit beinhalten. Mit einem solchen Konzept sollte geleistet werden, dass diese Gruppen nicht in Konkurrenz zueinander treten, sondern sich jeweils als Part einer gemeinsamen städtischen Entwicklung begreifen, mit- und füreinander da sind. Da dieses Konzept erst 2016 entwickelt wurde, wird es zu früh sein für empirische Erfahrungen.

Einen ähnlichen Ansatz zur Herstellung aktiver Verantwortungsgemeinschaften, die Institutionalisierung von Solidargemeinschaften, wird im brandenburgischen Landkreis Barnim versucht. Bei diesem Ansatz wird vor allem betont, dass Veränderungen anschlussfähig sein müssen, also behutsam an gegebenen Verhältnissen ansetzen und von den Menschen als ihre eigene Sache angesehen werden müssen. Hier geht es vor allem um die Raumplanung, die wirtschaftliche Entwicklung und die Bildungsbeteiligung in der Region.[4]

Gelebte „Diversity“, der Umgang mit Heterogenität, ist eine der zentralen gesellschaftlichen Herausforderungen in allen Bereichen wie Politik, Wirtschaft, Bildung, aber auch im alltäglichen Zusammenleben. (In der Kultur funktioniert dies vermutlich am leichtesten.) Solche Ansätze auf der kommunalen Ebene sind ein Versuch, diese Herausforderung zu meistern. Es ist ein Konzept, das mehr leistet, als Minderheiten zu integrieren, sondern in inklusiven Prozessstrategien das gemeinsame Leben zu gestalten. Solche Konzepte müssen auf allen weiteren Ebenen entwickelt und realisiert werden.

Inklusion am Beispiel Bildung und Erziehung

Auch wenn diese Herausforderung für alle Bereiche gilt, soll dies am Beispiel der Institution Schule versucht werden und auch hier eingeschränkt auf die Umsetzung der UN-Konvention für die Rechte von Behinderten, da dies exemplarisch die Schwierigkeiten, aber auch die Lösungsmöglichkeiten aufzeigt. Auch wenn hier mit einem weit umfassenden Inklusionsbegriff gearbeitet wird und bei einer nichtdiskriminierenden Schule auch gearbeitet werden muss, ist es doch legitim für den Entwicklungsprozess, die Schritte für einzelne Gruppen unterschiedlich zu gestalten. Kinder mit Behinderungen brauchen andere Unterstützung als geflüchtete Kinder, andere als hier aufgewachsene mit Migrationshintergrund, andere als Kinder aus bildungsfernen Elternhäusern und auch andere als hochbegabte etc. Wichtig ist, dass dies transparent gestaltet wird und Eltern und Kinder in diese Prozesse einbezogen werden. Wie kann dies am Beispiel von Schulen gelingen?

Obwohl in einigen Bundesländern seit mehr als 30, teilweise seit 40 Jahren gemeinsame Erziehung von behinderten und nichtbehinderten Kindern praktiziert wird, wird meistens nicht an diese erfolgreiche Tradition angeknüpft, sondern „Inklusion“ als völlig neue Herausforderung und als Belastung angesehen. Einigen Schulen gelingt die gemeinsame Erziehung seit Jahren gut, sie haben diesen Auftrag für sich als selbstverständlich angenommen. Der Film „Bergfidel“ zeigt dazu ein anschauliches Beispiel. Ebenso sind die zahlreichen Preisträgerschulen des Jakob-Muth-Preises ein Beleg, dass gemeinsames Leben und Lernen realisiert werden kann. Diese Schulen erfüllen ansonsten auch alle Kriterien guter Schulen, anspruchsvollen Unterrichts und guter Lernergebnisse. Inklusion wird also nicht damit bezahlt, dass nichtbehinderte Kinder in ihren Lernerfolgen zurückbleiben.

Trotzdem ist die Presse voll von Klagen von Lehrkräften nach dem Motto: „Jetzt sollen wir auch noch Inklusion machen. Hier hat sich ‚die Politik‘ wieder etwas ausgedacht und wir sollen die Suppe auslöffeln.“ Letztens noch sehr wortreich in der FAZ vom 13.2.2017 beschrieben. Wie gelingt es, diesen Prozess so zu gestalten, dass er als gemeinsames Anliegen aller Beteiligten begriffen wird, dass Lehrkräfte diese gesellschaftliche Herausforderung auch als ihre professionelle Verpflichtung annehmen? Wie gelingt es, dass die Rechte von behinderten Menschen akzeptiert werden und nicht als neue Politikkapriole wahrgenommen werden.

Inklusion ist mehr als gemeinsame Erziehung von behinderten und nichtbehinderten Kindern und Jugendlichen. Es bedeutet, dass das System, also die Einrichtungen so gestaltet sind, dass sie kein Kind ausschließen müssen. Alle Kinder, gleich welcher sozialen, ethnischen, kulturellen Herkunft, gleich welcher sexuellen oder religiösen Orientierungen sollen ohne Diskriminierung aufwachsen.

Nichtdiskriminierende Bildungseinrichtungen müssen den Umgang mit heterogenen Gruppen lernen. Dies gehört nicht unbedingt zum Selbstverständnis insbesondere bei Lehrkräften und hat auch nicht zur Ausbildung der meisten Lehrkräfte gehört. Inklusion ist eine Herausforderung, die nur geschafft wird, wenn unterschiedliche Institutionen und Akteure gut zusammenarbeiten und wenn sie ihr professionelles Rollenverständnis so verändern, dass zum Bildungsziel auch die Persönlichkeitsentwicklung gehört. Dafür brauchen sie Handwerkszeug, eine geeignete Qualifizierung, und die Einrichtungen brauchen ein gutes Unterstützungssystem. In der Lehrkräftebildung ist mittlerweile in vielen Ländern darauf reagiert worden, und auch die Fortbildungsangebote haben sich verbessert. Bei den Unterstützungssystemen gibt es in den Stadtstaaten regionale Beratungs- und Unterstützungsstellen und in vielen Flächenstaaten zuständige Verwaltungseinheiten. Wichtig ist, dass Netzwerke geschaffen werden, in denen Schulen mit wenig oder keiner Erfahrung in diesem Bereich von denen lernen können, die schon lange mit gemeinsamer Erziehung arbeiten. Dies kann auch den Anspruch behutsamer Innovationsstrategie erfüllen.

Nicht nur Lehrkräfte klagen über Belastung, auch Eltern von nichtbehinderten Kindern haben Angst, dass ihre Kinder in ihren Lernprozessen nicht genügend gefördert werden. Müssen Mehrheiten Rechte aufgeben, damit Minderheiten Rechte bekommen? Zum Beispiel wird häufig der gemeinsamen Erziehung mit verhaltensauffälligen Kindern vorgeworfen, mit dem Preis der Benachteiligung der anderen Kinder bezahlt zu werden. Solche Konstellationen schaffen Unzufriedenheit, und darauf kann nicht mit schlichten Appellen reagiert werden. Schulen, die nicht diskriminieren, dürfen dies nicht damit erkaufen müssen, dass das ursprüngliche Bildungsziel aufgegeben wird. Ein erweiterter Bildungsbegriff muss auch die Kernaufgabe, den Auftrag der Schule, möglichst gute Lernbedingungen für alle Kinder zu schaffen, auch für alle realisieren können. Dazu gehört auch die Akzeptanz eines Leistungsanspruchs, der eine gute Förderung aller Kinder voraussetzt.

Dazu müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden, die dies ermöglichen. Diese umfassen natürlich entsprechende Ressourcen und Personal und vor allem Zeit für Kooperation. Dies setzt aber auch voraus, dass alle Beteiligten, also das professionelle Personal, aber auch die Eltern, sich diese Ziele zu eigen machen und miteinander die Einrichtung gestalten. Schulen mit hoher Eigenverantwortung können am besten ein Selbstverständnis und Strukturen entwickeln, die die gemeinsame Gestaltung der pädagogischen Arbeit selbstverständlich macht.

Dafür müssen die Rechte aller, der Mehrheiten und der Minderheiten akzeptiert werden, aber keine Gruppe darf sich in die Rolle begeben, dass sie oder ihr Kind nur Rechte und keine Pflichten hat.

Ein solcher Prozess erfordert auch Instrumente, die manchmal auch Sonderkonditionen für bestimmte Gruppen bedeuten, z.B. temporäre Auszeiten oder Trennungen der Gruppen. Es sind Aushandlungsprozesse vor Ort nötig, zu denen alle bereit sein müssen. Vor allem erfordert es auch pragmatisches, nicht ideologisches Handeln. Es gibt Schulen, die gute Erfahrung mit temporären Lerngruppen oder Übergangsklassen gemacht haben. Dort wird mit verhaltensschwierigen Kindern vereinbart, dass diese bei nachlassender Konzentration den Klassenraum verlassen dürfen und in einer gesonderten Lerngruppe weiter lernen. Ein solches Projekt ist für die Berliner Werbellinsee-Grundschule von Ulrike Becker entwickelt worden. Dies darf nicht als Exklusion gebrandmarkt werden. Schulen brauchen dazu die Freiräume, um vor Ort gute und vor allem auch von allen akzeptierte Lerngelegenheiten schaffen zu können.

Die Einbeziehung von „bildungsfernen“ Eltern braucht möglicherweise andere Maßnahmen, die Eltern von schuldistanten Kindern ebenso und die Eltern von behinderten Kindern auch. Hier partizipative Verfahren zu entwickeln, in denen sich die Gruppen kennenlernen und versuchen, die Sorge um das gute Aufwachsen ihrer Kinder zu einem gemeinsamen Anliegen zu machen, ist die Aufgabe klugen Change Managements.

Die OECD benennt als eine der Schlüsselkompetenzen, die Kompetenz, in sozial heterogenen Gruppen erfolgreich handeln zu können. Die oben genannten Beispiele schaffen dafür gute Voraussetzungen.

Solche Prozesse brauchen Zeit, und Druck auf das Tempo der Umsetzung kann richtigen Schaden anrichten. Dies gilt sowohl für die Erwartungen an die Bildungspolitik als auch an die Akteure vor Ort. Diesen muss Zeit für Kooperationen und Lernprozesse gewährt und in den Vorgaben zugestanden werden.

Fazit und Ausblick

Inklusion darf nicht nur als eine Herausforderung für die Bildungseinrichtungen, vor allem der Schule, begriffen werden, was heute noch zu häufig der Fall ist. Sie muss in einen Prozess gesamtgesellschaftlicher Strategien, vor allem auch in der Stadtentwicklung, eingebettet werden.

In den 1990er und zu Beginn der 2000er Jahre gab es eine breite Debatte um Konzepte eines aktivierenden Staates gegenüber einem überwiegend versorgenden Staat. Dort war der Gedanke der Befähigung zur Teilhabe und Partizipation dominierend. Die zunehmende Entwicklung des bürgerschaftlichen Engagements, der politischen Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern, vor allem auch im Herbst 2015 mit der Unterstützung von Flüchtlingen herausragend sichtbar, stärkt diese Ansätze. Sie werden aber immer wieder durch Versprechen insbesondere im Vorfeld von Wahlen gefährdet.

Genauso wie die Demokratie immer wieder verteidigt werden muss, gilt es, die aktive partizipative Gestaltung einer inklusiven Gesellschaft sich zu eigen zu machen und in das Selbstverständnis des je eigenen staatsbürgerschaftlichen Lebens aufzunehmen.

 

[1] Rainer Forst, Die erste Frage der Gerechtigkeit, S. 45, in: Heinrich-Böll-Stiftung  (Hrsg.), Inklusion, Wege in die Teilhabegesellschaft, Frankfurt/M. 2015.

[2] Aus: Allgemeine Erklärung der Menschenpflichten

[3] Herfried Münkler und Marina Münkler: Die neuen Deutschen, Berlin 2016, S. 207

[4] "Inkrementalismus in der Regionalentwicklung – regionale Verantwortungsgemeinschaften im Landkreis Barnim“, Dr. Wilhelm Benfer, Landkreis Barnim, Vortrag gehalten während der Fachtagung „Regionalentwicklung nachhaltiger gestalten: aktuelle Praxisbeispiele und erfolgreiche Strategien“ am 22.01.2016 an der Hochschule für Nachhaltige Entwicklung Eberswalde